Früher war alles so einfach: Unternehmen holten bei Problemen externe Berater hinzu, die ihnen halfen, Veränderungen zu managen. Teilweise mit erheblichen Einschnitten in die Organisationsstruktur. Inzwischen sind neue Zeiten angebrochen. Die digitale Transformation, neue Führungsmodelle und Wertewandel, radikal kundenfokussierte Geschäftsprozesse, Diversität und Fachkräftemangel zwingen zum Umdenken und ein von außen aufgepfropfter Umbau geht nicht mehr ohne weiteres auf. Das hat auch die Allianz erkannt und rollt den notwendigen Kulturwandel intern auf. Kurios nur, dass der Versicherer ausgerechnet intern einen an die Spitze gesetzt hat, der sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als extern zu beraten und nun wieder von denselben beraten wird…
Digitale Transformation: Mehr als Marketing
Landauf, landab suchen Firmen nach einem neuen, für sie passenden Organisationsdesign. Denn das Top-Down-Prinzip, das sich in den 70er, 80er und 90er Jahren in Industrie, bei Dienstleistern und Non-Profit Organisationen durchsetzte, versagt nach und nach den Dienst. Zu vieles hat sich verändert:
- Damals waren Arbeitskräfte im Überfluss vorhanden, Prozesse und der Informationsfluss intransparent und langsamer – ebenso die Innovationsdichte innerhalb der Unternehmen.
- Leader konnten sich mit der Entwicklung neuer Ideen Zeit lassen.
- Im Falle von Marktschwankungen konnte man die Bilanzen durch rasche Rationalisierungs-Maßnahmen, Massen-Entlassungen und anderweitigen Einsparungen wieder hübsch machen.
- Nach der Krise wurde wieder eingestellt: Man konnte ja auf dem Arbeitsmarkt aus den Vollen schöpfen.
Es waren die Zeiten des Reengeneering und Change Managements, die reihenweise Berater in Unternehmen schwemmten. Jene hatten die Aufgabe, die Unternehmensprozesse bei wirtschaftlichen Einbrüchen vom Schreibtisch aus zu verschlanken, Prozesse neu zu regeln, Hierarchien zu überdenken, Teamgrößen auf ein Minimum zu schrumpfen und, und, und.
Was ist Change Management?
Was zählte, waren harte Fakten: Wirtschaftlichkeit, Kennzahlen, Umsatz, Profit. Das grundlegende Paradigma des Change Managements lautete: Steuerung von Veränderungs-Prozessen durch eine machtvolle, schnelle, Veränderung der inneren und äußeren strukturellen Rahmenbedingungen einer Organisation.
Digitale Transformation: Eine Definition
Heute spricht man erneut von einem Wandel, dieses Mal von der Digitalisierung oder der digitalen Transformation. Vielfach werden Change und Transformation zwar als Synonyme behandelt: Beides hat schließlich mit Veränderung zu tun. Doch das stimmt nur begrenzt. Realiter sind Change und Transformation zwei voneinander abzugrenzende Phänomene. Während sich „Change“, auf eine einmalige Veränderung mit einem Anfang und einem Ende bezieht, beschreibt der Begriff Transformation einen Prozess, der einmal angestoßen, auf absehbare Zeit nicht mehr zum Stillstand kommt.
Wirtschaftskrisen, wie sie die 80er Jahre dominierten, waren endlich. Hier galt es einmalige Veränderungen einzuleiten, damit ein Unternehmen seine Wirtschaftskraft nicht einbüßt. Mitunter radikal, aber endlich:
- Restrukturierungen,
- Budgetcuts,
- gezielte Investitionen,
- Abbau von Arbeitsplätzen etc.
Doch der Transformationsprozess, in dem sich die Wirtschaft heute befindet, ist das genaue Gegenteil davon. Prozesse werden sich weiter aus einer radikal fokussierten Kundenperspektive heraus beschleunigen und der Innovationsdruck wird weiter steigen je weiter die Digitalisierung und die damit einhergehenden Vernetzungsoptionen voranschreiten.
Inzwischen gestalten sich die Dinge anders:
- Mitarbeiter sind rar und aufgrund benötigten Spezialwissens nicht mehr so einfach austauschbar.
- Prozesse haben sich infolge der Digitalisierung um ein Vielfaches beschleunigt.
- Der Innovationsdruck in punkto Kundenprozesse und Services, der heute auf den Schultern der Manager lastet, ist mit dem vor zehn, zwanzig Jahren nicht mehr vergleichbar. Er ist immens.
Digitale Transformation – werft die Studien weg und fangt neu an!
Ergo: Die Zeiten, in denen Manager allein Ideen entwickeln konnten, sind vorbei. Heute müssen Mitarbeiter in Kreativprozessen gemeinsam mit Kunden mit Neugierde, Leidenschaft und Selbstentwicklungsdrang beteiligt werden. Und so verlangt die digitale Transformation zwingend eine kulturelle Transformation: Mitarbeiter können nicht mehr nach Kalkül eines externen Beraters wie Figuren auf einem Schachbrett hin und hergesetzt oder rausgeworfen werden, sondern sie müssen als Mitgestalter ins Boot geholt werden. Ihre Ideen zählen, denn nur sie bringen das Unternehmen voran.
Also brauchen sie den Raum, die Möglichkeiten und die Zeit, ihre Kreativität zu entfalten. Und zu allem Überfluss müssen sie auch noch dazu motiviert werden. Das heißt: Der Arbeitgeber muss Sorge tragen, dass sich der Mitarbeiter wohlfühlt, dass er gerne zur Arbeit kommt: Er muss seine Neugierde und Leidenschaft wecken, selbst Lösungen zu entwickeln! Die dafür grundlegende Voraussetzung: Er muss seine Leute kennen, muss wissen, wie sie ticken und welche Bedürfnislagen sie haben.
Die klassische Beratung stößt bei der Digitalen Transformation an ihre Grenzen
Das kann der von außen dazu geholte Fachberater als fremdgesteuerter Antwortgeber von den McKinseys dieser Welt nicht stemmen: Er kennt das Unternehmen schließlich nur von der Außenansicht ohne kulturelle Kontextrelevanz. Wie könnte er also als der notwendige Treiber fungieren, der die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen fördert und ihre selbstbestimmte Initiativkraft, eigenständige Antworten im Rahmen der Strategieumsetzung zu entwickeln. Das Beratungsmodell wird immer mehr an kulturelle Grenzen stossen, wenn Entscheider diese Fremdbestimmung nicht mehr akzeptieren!
Bei der Allianz hat man in dieser Hinsicht vermeintlich dazu gelernt. Der „First Man“ im Unternehmen, Oliver Bäte, will die verstaubte Versicherungsgrösse zu einem agilen Hochleistungskonzern umbauen. Von innen. Bei All Hands Meetings zelebriert er einen neuen mitarbeiternahen Führungsstil: Er lobt statt zu kritisieren, motiviert die Mitarbeiter bei der Transformation mitzuziehen, gibt ihnen neue Arbeits- und Zeiträume, in denen sie ihre Ideen ausprobieren können.
Digitale Transformation = Umkehr des Change Managements? Nein!
Sein großes Ziel ist es, im Stil von Apple und Google Kundenbedürfnisse früher zu kennen als der Kunde selbst und mit neuen Produkten darauf zu reagieren, wenn sich der Konsument langsam klar darüber geworden ist, was er künftig braucht. Alles soll sich ändern. Nur ein paar Beispiele:
- Künftig sollen Vertragsdetails und Schäden per Smartphone geregelt werden: Krankenversicherte können heute schon Arztrechnungen fotografieren und dem Versicherer per App zuschicken. So soll das auch mit Blechschäden funktionieren. • Computer checken die Unfallaufnahmen, prüfen Ansprüchen und weisen gar Zahlungen an.
- Am Ende bewertet der Kunde die Allianz Dienstleistung mit einem Sternchensystem. In den kommenden Jahren sollen Dutzende solcher Applikationen auf den Markt kommen.
Theoretisch klingt das gut. Bäte, seines Zeichens ehemaliger McKinsey Berater, hat aber keinen Schimmer, wie all das in die Praxis umgesetzt werden kann. „Das ist Ihre Sache. Das müssen Sie entwickeln. Wir haben keine Blaupause“, soll er laut Manager Magazin seinen Mitarbeitern gesagt haben. Der NetScore Promoter sei die Zukunft!
Wobei das nicht ganz richtig ist. Blaupausen hat Ex-Berater Bäte schon. Ebenso wie seine ehemaligen Beraterkollegen, die derzeit für die Allianz engagiert sind. Aber eben die falschen: Auf ihnen steht in dicken Lettern Change Management, nicht Transformations Management.
Digitale Transformation: Mitarbeiter, Ihr macht das schon!
Dazu muss man wissen, dass bereits der letzte Umbau der Allianz Bätes Handschrift, trug. Damals aber noch als Change Manager unter dem Dach von McKinsey. Bäte ging vor, wie er es gelernt hat: 600 Mio Euro pro Jahr galt es einzusparen, 11 Standorte sollten geschlossen und 5000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Die erheblichen Proteste, die darauf öffentlich folgten, dürften Bäte heute noch im Traum verfolgen. Die Mitarbeiter jedenfalls haben nichts davon vergessen.
Nun steht Bäte wieder vor den Mitarbeitern, dieses Mal nicht als der gefürchtete Change Manager, sondern als der vermeintlich anfassbare Digital Leader, der weiß, was in seinen Leuten steckt, dies wertschätzt, fördert und ein Arbeitsumfeld bieten will, dass zum Unmöglichen befähigt. Zwischen den Zeilen kündigt er damit erneut erhebliche Eingriffe in die Organisation an, die ähnlich heftig ausfallen dürften wie damals – 2006.
Gut: Er hat gelernt – er nennt in seiner Präsentation weder Kostenziele noch Einsparungspotenziale. Das scheint es aber auch schon gewesen zu sein. Offensichtlich will er die digitale Transformation der Firma mit der eigenen Transformation beginnen, macht dabei aber handwerkliche Fehler: Denn der Schlüssel zur Lösung ist eben nicht, das einmal Gelernte ins genaue Gegenteil zu verkehren, sondern ein individuelles Managementkonzept entwickeln und umzusetzen, das exakt auf den kulturellen Kontext der Mitarbeiter und des Konzerns zugeschnitten ist und der antwortentwickelnden Initiativkraft der Mitarbeiter eine Chance eröffnet.
Einfach mal machen – das geht nicht
Früher konnten Change Manager nach einem vorgegeben Muster vorgehen. Transformations Manager müssen heute Hierarchie mit der NetzwerkIntelligenz sich freiwillig organisierter Mitarbeiterinitiativen verbinden, geführt von der gemeinsamen Veränderungsvision.
Wenn Bäte nun vornehmlich mit Leuten kommuniziert, die ihm hierarchisch unterstellt sind und dabei die Gleichrangigen ignoriert, ist das ein falsch verstandenes privilegiertes Top Down-Agieren. Hier agiert der Ex-Berater, nicht der Transformator. Ebenso wenig geht es auf, sich als Ansprechpartner auf Augenhöhe positionieren zu wollen, gerne zu Terminen mit seinen Mitarbeitern bereit zu sein, zu diesen regelmäßig aber nicht zu erscheinen. Das stärkt Vertrauen und Motivation nicht wirklich.
Schön ist auch die Story, wie Bäte den Teamgeist stärken wollte: Er initiierte den Allianz World Run, der Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl stärken sollte. Bäte stieg sogar beim All Hands mit Lauftretern aufs Podium. Wer allerdings letztlich nicht mitmachte: Er. Kaputter Fuß. Shit happens. Oder: Die authentische RollenTransformation vom entscheidungsbestimmenden Kostenkiller Consultant zum CEO als Digital TransformationLeader der Generation X,Y einschließlich Copy and Paste Culture der Valley Protagonisten ist vielleicht doch nicht so leichtfüßig zu bewerkstelligen und empfehlenswert.
Das antwortdoktrinäre Beratungsmodell ohne kulturelle UmsetzungsIdentität der Beteiligten sollte sich selbst daher dringend einem kulturellen Transformationsprozess unterziehen. Die Zeit ist reif dafür, die Führungskräfte sind schon lange ermüdet und beratungsgefrustet! Es geht in Zukunft weniger um fertige Antworten von außen, sondern um die Architektur und die Orchestrierung der Umsetzungsbegleitung einer anschlussfähigen und chancenfokussierten Lösungskultur von kultureller Diversität und Agilität geprägten Unternehmensentwicklung digitaler Zeitenwende! Sie haben Fragen dazu oder sind interessiert daran, mit mir in Diskurs zu gehen? Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme»>.
Herzlich
Ihr
Roald Muspach